Nüchternes Theater.

München : Liverpool

15 Minuten noch bis Spielbeginn. Letztes Jahr noch Champions League Prime Time und heute laufen die letzten Vorbereitungen. Extra frei habe ich mir genommen. Ich habe Bock auf guten Fußball. Was zweifelsohne auch ein taktisch geprägtes 0:0 sein kann.
Fünf Minuten vor Anpfiff ist dann auch die Pizza da. Im TV sieht und hört man die typisch deutschen Vorspielrituale. Auf dem Laptop läuft parallel Barcelona gegen Lyon. Im spanischen Original. Aber auf lautlos. Vor Anpfiff fällt auf: weniger Gerede von alten, weißen Männern. Dafür mehr Fußball. Die Mannschaften beim Aufwärmen. Taktische Erläuterungen, visuell verständlich gemacht.

Nüchtern. Nicht die Pizza. Die erste Halbzeit. Die Pizza ist saftig und scharf.
Neuer unterschätzt die Fähigkeiten seines Mitspielers und überschätzt die Eigenen. 0:1 Liverpool. Das wichtige 1:1 fällt noch vor der Pause. Der in den letzten Zeit auffällige Gnabry setzt einen Höhepunkt auf der rechten Seite. Matip trifft für Bayern. Eigentor.
Ribéry wirkt fremd in diesem Team. Lewandowskis technisch fehlerhafte Ballannahme Mitte der ersten Halbzeit zeugt auch nicht von Weltklasse.

Zu diesem Zeitpunkt sind beim Parallelspiel auch zwei Tore gefallen. Das Spiel auf dem Laptop strahlt dennoch mehr Energie aus.

Die zweite Halbzeit verläuft genauso nüchtern. Van Dijk zeigt, zum wiederholten Male, seine Klasse in der Luft. Martinez und Hummels chancenlos. Genauso wie Bayern in der Folge.
Sechs Minuten vor dem Ende ist dann Schluss. 1:3. Wieder Mané.

Sechs Minuten vorher passiert der eigentliche Aufreger im Spiel. Für mich. Man sieht vor dem Fernseher wie sich die Reihen auf der sichtbaren Tribüne leeren. Die Zuschauer flüchten nicht in Scharen. Aber es fällt auf.
Wenn vor ca 20 Jahren Menschen mit übermäßig viel Geld ihren Gefallen am Fussball als Unterhaltung gefunden haben, dann zeigte mir diese 79. Minute in München, dass diese Einstellung auch ein bis zwei Etagen tiefer angekommen ist.
Ich habe die Verbindung zwischen dem allgemeinen Theaterpublikum und den Zuschauern in den Stadien in den letzten Monaten öfter mal aufgeschnappt. Heute wird mir diese Realität bewusst. ManCity und PSG sind gar nicht mehr so weit weg. Jedenfalls näher als ein Sieg in der Champions League für Bayern. In den nächsten zwei Jahren.

Im Parallelspiel ist gerade das 3:1 gefallen. Vermeintlich alles entschieden. Trotzdem spürt man immer noch mehr Spannung ausgehen vom Laptop.

Das Dauergetrommel der Schickeria nervt nur noch und wirkt deplatziert. Vielleicht soll es ja mittlerweile auch als Begleitmusik für die Unterhaltungsenttäuschten auf ihrem Weg nach draußen dienen. Bei der Mannschaft kommt eh nichts mehr an.

24 Stunden vorher hat Juventus noch ein 0:2 gegen eine der besten Defensiven der Welt aufgeholt. Weil der Funken von den Fans auf die Mannschaft übergesprungen ist. Nach zuvor einigen supportlosen Spielen. Und wegen Ronaldo.

Lewandowski ist heute wieder kein Ronaldo. Das nicht nur an den Toren gemessen. Kein Bayernspieler ist heute ein Ronaldo. Doch das Publikum auch nicht, wenn man 15 Minuten vor dem Ende die Gästefans laut singen hört.

Julian Carax

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